Die Frage bleibt ...

Halte dich still, halte dich stumm,

nur nicht forschen, warum? Warum?

Nur nicht bitt're Fragen tauschen,

Antwort ist doch nur wie Meeresrauschen.

Wie's dich auch aufzuhorchen treibt,

das Dunkel, das Rätsel, die Frage bleibt.

Theodor Fontane

 

Ja, sie kommt immer wieder diese Frage, auch nach neun Jahren. Viele sagen eine  lange Zeit, aber für mich ist alles noch so nah. Jedes Jahr durchlebe ich mit Beginn eines neuen Jahres diese letzten gemeinsamen Tage. Neun Jahre ohne Sascha und seit dem gibt es für mich eine neue Zeitrechnung, vorher die Zeit mit ihm und und jetzt unsere Lebenszeit ohne ihn. In meinen Gedanken und Gefühlen lebt Sascha weiter, zeitlos. Es vergeht kein Tag ohne den Gedanken an ihn und das sind nicht nur traurige Gedanken, sondern auch viele Gedanken in liebevoller Erinnerung. So lebe ich diese neue Zeit mit Erinnerungen an Erlebnisse. die nie wieder kommen, mit einer unstillbaren Sehnsucht, mit Hoch und Tiefs und mit depressiven Phasen, die kommen und gehen und über die ich keine Macht habe. Es macht mich oft sehr traurig, wenn ich daran denke, dass er so viele schöne Dinge nicht mehr erleben kann. Wird das je anders sein? Ich glaube nicht, denn er ist doch ein Teil von mir und meinem Leben  und untrennbar mit mir verbunden.

Aber die Welt dreht sich schon seit neun Jahren einfach weiter   -  "Die Zeit hält nur in Träumen an"  heißt es bei Tabaluga und die Zeichen der Zeit.

Seit dem du weg bist

ist so manches ok.

Dafü,r dass es korrekt ist

tut es aber ganz schön weh.

Ich bin wirklich gesegnet

hatte Glück und vieles ist super, wie es ist,  bis auf die Lücke, die nicht schließt.

Es ist ein perfekter Kreis von 280 Grad,

der rettende Beweis, den ich leider grad nicht hab.

Es ist der Sinn des Lebens, den keiner mir verrät.

Man muss wirklich kein Genie sein, um zu merken, dass was fehlt.

 

Bei Gott es fehlt ein Stück. Haltet die Welt an,

es fehlt ein Stück. Sie soll stehen.

Und die welt dreht sich weiter, und dass sie sich weiter dreht, ist für mich nicht zu begreifen.

Merkt sie nicht, dass einer fehlt.

Haltet die Welt an, es fehlt ein Stück.

Haltet die Welt an, sie soll stehen.

 

Es ist nicht zu beschreiben,

wie kalt und leer es ist.

Ich versuche nicht zu zeigen,

wie sehr ich dich vermiss.

Meine Freunde tun ihr Bestes,

aber das Beste ist nicht gut genug.

 

Für Das was du mir warst, hat diese Welt kein Substitut.

Dies ist ein Akt der Verzweiflung,

ein stummer Schrei eines Menschen voller Leiden

und seiner Wunde, die nicht heilt.

Es ist ein letzter Kampf gegen das, woran es liegt,

wie ein Vogel mit nur einem Flügel, der bestimmt nicht fliegt.

 

Bei Gott es fehlt ein Stück ...

 

Es ist leicht zu erkennen

und schwer zu ertragen.

Wie konnte man uns trennen,

mein Herz trägt deinen Namen.

Es ist die alte Geschichte,

wenn jemand stirbt.

Es fehlt ein Stück vom Puzzle, das so niemals fertig wird.

Man sagt mir halb so schlimm, es geht weiter,  wie du siehst.

Um zu sehen, dass das nicht stimmt, braucht es keinen Detektiv.

Ich kann meinen Zweck nicht erfüllen, wie eine Kerze ohne Docht.

Dieses Schiff geht langsam unter, merkt ihr nicht es hat ein Loch

 

Bei Gott es fehlt ein Stück ...

 

  "Haltet die Welt an" von Glashaus

 

 

Die Jahre ähneln sich. Die Trauer hat sich verändert, ist leichter geworden, eigentlich gehört sie so selbstverständlich zu meinem Leben. Äußerlich bin ich in Ordnung, funktioniere und mache meinen Job, den ich ja auch gerne mache und der mir viel gibt. Aber wie es in mir aussieht kann keiner nachvollziehen und ich erkläre mich auch nicht mehr jedem und jeden Tag. Traurige  Gedanken, Sehnsüchte und Erinnerungen sind Meins und ich trage es mit mir selbst aus. Es würde doch auch kaum noch einer verstehen, dass ich mich freuen kann und gleichzeitig traurig bin, dass viele glückliche Momente für mich auch eine Schattenseite haben. Sehnsucht ist ein seltsames Gefühl. Trotzt des Kummers und der Traurigkeit die Sehnsucht bereitet, empfinde ich auch etwas Schönes, Heiles in der Erinnerung an Sascha.

Wie wenig Verstehen für meine Geschichte da ist, musste ich Anfang letzten Jahres wieder bitter erfahren. Das erste mal nach Jahren wollte ich etwas für mich tun, es war auch dringend notwendig. So beantragte ich eine Kur. Eine Mütterkur in einer Gruppe sollte es sein, mit dem Schwerpunkt Trauer. Die Antwort war eine Absage in Form eines Serienbriefes:

 " Ihren Wunsch nach Erholung und Entspannung können wir verstehen, aber ..."

Das Wort Trauer tauchte trotzt intensiver Selbstauskunft von mir nicht einmal auf. Dabei begleitet mich die Trauer ja seit meiner Jugend durch verschiedene Verluste. Ich habe aber nicht aufgegeben, einen ausführlichen Widerspruch formuliert und schließlich eine Zusage bekommen, musste allerdings auf ein  anderes Haus ausweichen.  Die Kur auf der Insel tat gut, nur ausgerechnet die psychologische Begleitung war gleich null. Haben denn nicht mal die Mitarbeiter einer Krankenkasse eine Vorstellung davon, welche Dimension der Verlust eines Kindes hat ? Dass Trauer nicht so einfach in Zeit messbar ist und ich eben nicht krank werden möchte deshalb.

Ansonsten geht unser Leben seinen normalen Gang, wobei auch Loslassen zu dieser Normalität gehört. Niklas hat seine Ausbildung sehr erfolgreich abgeschlossen, hat eine feste Stelle und studiert nun  berufsbegleitend. Tanjas Studium verläuft besser als sie wohl selber gedacht hat. Mirko ist nun Kältemeister und hat mit Natalie  eine eigene Wohnung bezogen. Der kleine Luca macht uns allen viel Freunde und ich genieße es , wenn er bei uns ist.

Aber immer wieder ist da der Gedanke, was  jetzt mit Sascha wäre. Würde er mit 25 Jahren noch zu Hause wohnen? Hätte er eine Freundin oder was würde er beruflich machen ?

Soll ich nicht von meinem toten Sohn erzählen, weil ich weiß, dass es mein Gegenüber verunsichert oder ich mitleidige Blicke bekomme? Wenn ich nach meinen Kindern gefragt werde, spreche ich ganz selbstverständlich auch von Sascha. Das müssen sie aushalten, denn er gehört zu mir und meiner Familie. Trauer und Tod bleiben  Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Jeder schweigt, weil er keine Wunden aufreißen will, aber es ist Unsinn, denn selbst die Narben schmerzen dauerhaft. Ein Schmerz der eher gelindert wird, wenn man ihn zur Sprache bringt. 

 

Mit meinen Augen kann ich dich nicht mehr sehen.

Mit meinen Ohren kann ich dich nicht mehr hören.

Mit meinen Händen kann ich dich nicht mehr berühren.

Aber wenn ich meine Augen schließe,

und mein Herze öffne, kann ich dich

sehen – hören – und  fühlen.

 

Ich werde dich nie vergessen!